Was man darunter versteht
Eine eindeutige Definition des Langzeitstillens gibt es nicht. In Deutschland spricht man von Langzeitstillen, wenn eine Mutter ihr Kind länger als ein Jahr stillt.
Früher war die Stilldauer, auch in unseren Breiten, bedeutend länger als heute. Das belegen Knochenfunde aus prähistorischer Zeit und historische Aufzeichnungen. Forscher gehen davon aus, dass damals die Kinder erst mit etwa zwei bis drei Jahren von der Mutterbrust entwöhnt wurden. Noch bis weit in die Neuzeit hinein war das Stillen von Kleinkindern keineswegs die Ausnahme. Aus Sicht der evolutionären Verhaltensforschung ist das Langzeitstillen also kein ungewöhnliches, sondern typisch menschliches Verhalten.
Die Entscheidung zum Thema Langzeitstillen muss jedoch jede Mutter für sich und ihr Kind selbst treffen. Stillen hat viele Vorteile, die Notwendigkeit muss jede Familie selbst abschätzen. Hab den Mut, zu deiner Entscheidung zu stehen, auch wenn Verwandte, Freunde und Kinderärzte eine andere Meinung haben. Feste Nahrung ist für Kleinkinder und Babys ab einem gewissen Alter jedoch ein Muss und sollte zusätzlich zum Stillen eingeführt werden.
Langzeitstillen ist also ein subjektives Empfinden. Für die einen ist alles über einem Jahr schon viel, für die anderen erst, wenn der Nachwuchs in den Kindergarten kommt. Meistens ist es einfach umfeld-bedingt, sodass das Gefühl von Langzeitstillen hochkommt, wenn kein anderes Kind im gleichen Alter noch gestillt wird, sondern "nur" noch das eigene.
Hab den Mut, zu deiner Entscheidung zu stehen, auch wenn Verwandte, Freunde und Kinderärzte eine andere Meinung haben.
Langzeitstillen vs. "normale" Stillzeit
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt eine Stilldauer von mindestens 24 Monaten, da die Muttermilch eine grundlegende Quelle für viele Nährstoffe ist. Und das gilt nicht nur für Mütter in Entwicklungsländer, die erschwerten Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, sondern für alle stillenden Frauen.
Wenn dein Kind das Essen verweigert, weil es z.B. krank ist, ist die Brust nicht nur ein Trostspender, sondern schützt vor Austrocknung und liefert die wichtigen Nährstoffe für eine baldige Genesung. Dem Langzeitstillen wird außerdem ein reduziertes Risiko für chronische Erkrankungen und Übergewicht im Kindesalter nachgesagt und es zur Förderung der kognitiven Leistungen beitragen.
Für die Obergrenze gibt die Weltgesundheitsorganisation kein Alterslimit an, das ist dir als Mama überlassen.
Natürlich ist jede Stillbeziehung anders und oft ist das Abstillen keine Frage des Wollens. Manchmal müssen Frauen aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen abstillen, während die Kinder die Brust noch weiter angenommen hätten. Laut einer Studie von KiGGS (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) beträgt die mittlere Dauer des Stillens 6,9 Monate und die der ausschließlichen Brustfütterung 4,6 Monate.
Auch die Wahrnehmung des öffentlichen Stillens spielt beim Stillverhalten eine große Rolle. Viele Mütter fühlen sich nicht wohl dabei, ihr Kind in der Öffentlichkeit, zu stillen. Beispielsweise im Supermarkt, im Café oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Um dem zu entgehen, stillen sie lieber frühzeitig ab.
Das natürliche Abstillalter liegt bei etwa zwei bis vier Jahren. Kinder haben zu diesem Zeitpunkt nicht mehr das Bedürfnis, an der Brust zu saugen oder durch das Stillen getröstet zu werden. Die Kleinen zeigen nicht mehr so viel Interesse, sodass du guten Gewissens damit aufhören kannst, die Brust anzubieten.
Gesellschaftliche Wahrnehmung
In mehreren Studien zum Langzeitstillen gaben 76 % - 79 % der befragten Frauen an, dass sie ursprünglich nicht geplant hatten, solange zu stillen, sondern in das langjährige Stillen hineingewachsen sind. Nur ca. 13 % hatten von Anfang an vor, über mehrere Jahre zu stillen. Viele von ihnen wurden selbst lange gestillt oder hatten langzeitstillende Vorbilder im Verwandten- oder Bekanntenkreis.
Manche Frauen fanden das Langzeitstillen vor ihrer eigenen Stillerfahrung abstoßend und hatten Vorurteile, so wie ein Großteil unserer Gesellschaft. Eine Mutter, die einem Kind die Brust gibt, das schon laufen und sprechen kann, braucht viel Selbstbewusstsein.
Mit dem Ende des ersten Lebensjahres wird das Baby zum Kleinkind. Über 90 % der Frauen in Deutschland stillen bis zum ersten Geburtstag ihres Kindes ab. In Deutschland ist dieser Zeitpunkt die Schwelle vom Stillen zum Langzeitstillen.
Ist Langzeitstillen ein Tabu?
Für das Stillen gibt es biologisch gesehen keine zeitliche Obergrenze. Grenzen setzt nur die Gesellschaft. Die Muttermilch passt sich den Bedürfnissen des Kindes an. Doch was als "normal" gilt, ist nun mal das Resultat der kulturellen Konsensbildung. Das jedoch ist überall auf der Welt anders. Bei Naturvölkern ist eine Stillzeit von drei Jahren und mehr völlig normal, während in Industriestaaten teilweise nur vier Wochen gestillt wird.
Die Stillzeit ist von vielen Faktoren abhängig, wie beispielsweise der Rolle und Bildung der Frauen und deren Zugang zum Arbeitsmarkt. Aber auch der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Lebensmitteln ist ein entscheidender Aspekt. In manchen Teilen der Welt verhindert Langzeitstillen eine Mangelernährung und frühe Wachstumsstörungen. Außerdem hat es positive Auswirkungen auf das Immunsystem.
Leider hat unsere Gesellschaft sehr genaue Vorstellung vom Stillen eines Kindes. So werden Mütter, die ihre Kinder von Anfang an nicht stillen möchten, genauso angefeindet wie Mütter, die ihre Kinder länger als ein Jahr stillen. Für die meisten Menschen in Deutschland ist es besonders befremdlich, wenn Kinder, die bereits laufen und sprechen können, noch gestillt werden, in anderen Kulturen wird das nicht einmal wahrgenommen. Und in den 60er- und 70er-Jahren galt Stillen als derart unmodern, dass diese Traditionen fast aufgegeben worden wäre.
Stilldauer in anderen Ländern
Während deutsche Frauen eine Stillzeit von sechs bis zwölf Monaten als ideal empfinden, sprechen sich Frauen in anderen Ländern für eine längere Stilldauer aus. In der Türkei stillen mehr als ein Drittel der Frauen länger als zwölf Monate. In Japan ist es sogar üblich, dass Mütter ihre Kinder bis zum Kindergartenalter stillen. Welche Zeitspanne des Stillens "normal" ist, hängt vor allem mit dem kulturellen Umfeld zusammen.
Vorteile Langzeitstillen
Auch wenn das Langzeitstillen in unserer Gesellschaft nur wenig Anklang findet, gibt es zahlreiche Gründe, die für das lange Stillen sprechen. Auf der anderen Seite hat das Langzeitstillen jedoch auch negative Seiten, die sich jedoch weniger auf die gesundheitlichen Aspekte beziehen.
Mehrere Studien, die die gesundheitlichen Vorteile des Stillens bis zum 2. Geburtstag untersuchten, belegen: Die Wahrscheinlichkeit des Todes durch eine (Infektions-)Krankheit halbiert sich im zweiten Lebensjahr, wenn das Kind noch gestillt wird. Jedoch verschwinden diese gesundheitlichen Vorteile des Stillens nicht plötzlich zum 2. Geburtstag. Sie nehmen im Laufe des weiteren Entwicklungsprozesses ganz langsam ab und sind noch mehrere Jahre signifikant.
Viele langzeitstillende Mütter gaben in einer Umfrage an, dass sich das Stillverhalten bei Krankheit des Kindes ändert. Sie stillten dann mehr und/oder häufiger. In einer Untersuchung wurde auch nach den Merkmalen von (ehemals) jahrelang gestillten Kindern gefragt. Die Mütter beschrieben diese als für ihr Alter selbstständig (98 %), kontaktfreudig (80 %), fröhlich (92 %) und mutig (90 %). Länger gestillte Kinder seien also besser gebunden, selbstsicherer und sozial kompetenter.
Objektive Untersuchungen darüber, ob sich lange gestillte Kinder tatsächlich von anderen Kindern unterscheiden, existieren keine. Somit können solche Annahmen weder belegt noch widerlegt werden. Auch von manchen Psychologen oder Ärzten vertretene Behauptungen, langes Stillen würde Kinder in ihrer Selbstständigkeitsentwicklung hemmen, sind keine wissenschaftlich gesicherten Fakten, sondern lediglich persönliche Meinungen, die oft als Fachwissen präsentiert werden.
Die lange emotionale und intensive körperliche Bindung beim Langzeitstillen wird von vielen Müttern und Kindern genossen. Für viele ist das Weiterstillen auch eine Lösung, wenn das Kind ein eher schlechter Beikost-Esser ist. Manche wollen auch ihr Kind entscheiden lassen, wann es für das Abstillen bereit ist und es nicht unter Druck entwöhnen.
Stillen schützt dein Baby vor Infektionen und Krankheiten, und das in einem so großen Maß, dass es sogar als eine Form der "personalisierten Medizin" mit potenziell lebenslanger Wirkung gilt. So schützt Langzeitstillen dein Baby erwiesenermaßen gegen bestimmte Krebserkrankungen im Kindesalter wie akute lymphatische Leukämie und Hodgkin-Lymphom und verringert das Risiko für Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, Seh- und Zahnprobleme sowie Fettleibigkeit. Deine Muttermilch kann auch das Risiko deines Babys für Durchfall und Übelkeit, Gastroenteritis, Erkältungen und Grippe sowie Pilz- und Lungeninfektionen senken. Das ist besonders hilfreich, wenn es älter wird und mit anderen Kindern spielt oder in eine Kita geht, wo viele Keime verbreitet sein können.
Stillen ist ein Wunder
In Ländern mit geringem bis mittlerem Einkommen kann Stillen sogar Leben retten. Die Wahrscheinlichkeit, durch Infektionen zu sterben, ist dort bei nicht gestillten Babys doppelt so hoch wie bei Babys, die - wenn vielleicht auch nur teilweise - gestillt werden.
Das Stillen ist außerdem ein wunderbares Mittel, um dein Baby zu trösten und zu beruhigen. Bei älteren Babys hilft es beim Zahnen, bei Impfungen und bei unvermeidbaren Stößen und Kratzern sowie Vieren, die es aufschnappt. Stillen ist schlicht ein Wunder.
Zusätzlich wird das Saugbedürfnis eines Kindes gestillt, welches etwa bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres anhält. Das Saugbedürfnis ist ein natürlicher Instinkt, der zu Beruhigung und Entspannung führt.
Eine optimale Stilldauer gibt es demnach nicht, da sie individuellen Bedürfnissen unterliegt. Grundsätzlich sollte jede Mutter selbst entscheiden können, wie lange sie ihr Kind stillen möchte, ohne von anderen Menschen der Gesellschaft angefeindet zu werden. Das Stillen kann so lange fortgeführt werden, wie es der Mutter und dem Kind gefällt.